Alles unter einem Dach: Bauen und Wohnen in Gemeinschaft

Trendstudie: Zukunftsfit Bauen und Wohnen, Ausgabe #4

Gemeinschaftliches Wohnen bringt soziale Nähe. Es entstehen Netzwerke, die in der Gemeinschaft der Wohnenden auf unterschiedliche Art nützlich sind.

Das Wichtigste zusammengefasst

Gemeinschaftliches Bauen und Wohnen bringt Zusammenhalt, Alltagshilfe und Gesellschaft. Statt Anonymität bringt das gemeinschaftliche Wohnen soziale Nähe. Es entstehen Netzwerke, die für alle nützlich sind. Darüber hinaus macht der Gemeinschaftsbau das leistbar, was im Alleingang nicht immer gelingt: Wohnraum reduzieren und ökologisch nachhaltig bauen. Die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von 1.000 Personen (Online, August 2021) zeigen:

  • 82 Prozent empfinden gemeinschaftliches Wohnen als vorteilhaft im Alter. Gegenseitige Hilfe im Alltag (78 Prozent) und Kosteneinsparungen (75 Prozent) sind weitere Top-Argumente für gemeinschaftliches Wohnen.

  • Mit Gleichgesinnten wohnt es sich am besten: 28 Prozent der Befragten würden am liebsten mit Menschen in Gemeinschaft wohnen, die ähnliche Interessen und Wertvorstellungen haben. Während Jüngere die Nähe von Gleichaltrigen suchen, sind Ältere besonders offen für das Zusammenleben mit Jüngeren.

  • Was gegen gemeinschaftliches Wohnen spricht: Der Großteil stört sich am Konfliktpotential. 85 Prozent der Befragten empfinden mögliche Konflikte in der Gemeinschaft als vorerst abschreckend.

Gemeinschaftliches Wohnen nimmt dem städtischen Zusammenleben die Anonymität, bringt die Menschen zusammen und fördert ihre Lebensqualität. Auch auf dem Land bringen gemeinschaftliche Wohnprojekte Gleichgesinnte zusammen.

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Alt werden in Gemeinschaft: Die finnische Stiftung Yrjö ja Hanna bietet bezahlbaren Wohnraum für alle Altersgruppen und schafft damit Mehrgenerationen-Communities. Kombiniert wird dieser Ansatz mit Service-Einrichtungen: Wer Hilfe im Alltag braucht, wird gut betreut. – yrjojahanna.fi (Fotocredit: Yrjö ja Hanna)

Strategie und Hintergründe

Gemeinsam baut und wohnt es sich besser

Das Bauen und Wohnen in Gemeinschaft löst gleich mehrere Herausforderungen zugleich. Und das nicht nur im Sinne der Nachhaltigkeit – auch sozial gesehen hat das Wohn- und Baukonzept einiges zu bieten.

Die Eine wird entlastet, der Andere integriert. Lebenswert ist der Gemeinschaftsbau, weil die nachbarschaftliche Beziehungen ein wesentlicher Bestandteil davon sind: Seien es Nachbarn zum Plaudern oder Spielgefährt/-innen – der Alltag im Gemeinschaftswohnprojekt ist um vieles sozialer als anderswo. Diese Nähe hat auch praktische Vorteile: Betreuungspflichten, die früher die Großfamilie übernahm, teilt man sich unter Gleichgesinnten. Das ist einer der Gründe, die in 1960er Jahren zu den ersten derartigen Projekten in Schweden geführt haben: Durch das Teilen von Betreuungstätigkeiten in den hauseigenen Communities konnten Mütter leichter wieder in das Erwerbsleben einsteigen. Das schwedische Modell gilt als Vorbild der vielfältigen Gemeinschaftsbauten von heute.

Darüber hinaus lässt es sich gemeinschaftlich – richtig geplant – auch günstiger wohnen. Durch Kosteneinsparungen werden auch ökologische Bauweisen möglich. Außerdem lässt sich der Wohnraum-bedarf ohne Kompromisse reduzieren. Im Gegenteil: Erst durch die gemeinschaftliche Finanzierung und das Teilen von Infrastruktur mit anderen werden Premium-Features wie ein Yoga-Raum oder eine Sauna möglich.

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Im Jahr 2013 fand sich in Lübeck eine Baugemeinschaft zusammen, die eine Hofanlage mit einem jahrhundertealten Herrenhaus mit einer Mehrgenerationen-Gemeinschaft wiederbelebte: Das Gut Mori entstand. Das Wohn- und Arbeitsprojekt beherbergt heute 41 Wohnungen, ein Café und sogar eine eigene Schule. – gut-mori.de (Fotocredit: Meyer Steffens Architekten und Stadtplaner BDA)

Darum ist „gemeinschaftlich Bauen und Wohnen“ zukunftsfit

  • Ökologisch verträgliches Wohnen: Den eigenen Wohnraum kompakt zu halten ist die ökologische Chance, die das gemeinschaftliche Wohnen mit sich bringt. Wer Wohnfunktionen in Gemeinschaftsbereiche auslagern kann, reduziert auch den individuellen Platzbedarf.

  • Ressourcen schonen: Zusätzliche Sharing-Angebote schonen weitere Ressourcen. In vielen Wohnprojekten teilt man sich Home-Office-Infrastrukturen, Autos, Geräte oder sogar Gästezimmer. Kinderbetreuung, Food-Coop und Gemeinschaftsräume direkt im Haus sparen Wegstrecken.

  • Stabile Netzwerke: Wohnprojekte lassen Menschen im urbanen Raum zusammenfinden und nehmen der Stadt ihre Anonymität. Es bilden sich soziale Netzwerke, die langfristig tragfähig sind.

  • Geballtes Know-How unter einem Dach: Während der Eine sich mit Verträgen auskennt, weiß die Andere, wie man Möbel restauriert. Wer Unterstützung sucht, findet sie meist im hauseigenen Netzwerk.

  • Attraktive Nachbarschaften: Aktive Beteiligung beim Bauen und Wohnen schafft eine Umgebung, die gefällt. So entstehen belebte Nachbarschaften, die auf sich schauen und die charakteristisch für ganze Stadtviertel werden.

Befragungsergebnisse

Gemeinsam statt einsam – vor allem im Alter

  • Die Top-Argumente, wenn es um gemeinschaftliches Wohnen geht: eigenständiges Wohnen im Alter(82 Prozent), Unterstützung in der Nachbarschaft (78 Prozent) und Kosteneinsparungen (75 Prozent).

  • Nachbarschaftliche Beziehungen sind wichtiger als die „Hardware“: 78 Prozent schätzen die gegenseitige Unterstützung in der Nachbarschaft, 69 Prozent die Nähe zu Gleichgesinnten. Bauliche Faktoren wie Mitbestimmung über die Architektur oder gemeinsam genutzte Flächen/Einrichtungen sind mit je 55 Prozent am wenigsten relevant.

  • Kosteneinsparungen sind für Jüngere etwas relevanter als für Ältere: 79 Prozent der 20- bis 35-Jährigen fühlen sich vom Vorteil der Kosteneinsparung angesprochen. Unter den 50- bis 69-Jährigen sind es 71 Prozent.

56 % der in der Stadt lebenden Befragten fühlen sich von gemeinschaftlich genutzten Einrichtungen angesprochen. Unter den Landbewohner/-innen sind es 48 %.
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Ältere suchen Jüngere, Jüngere suchen Gleichaltrige

  • Am liebsten würde man mit Menschen wohnen, die einem ähnlich sind: 28 Prozent der Befragten würden Nachbarn mit gleichen Interessen und Wertvorstellungen vorziehen, 22 Prozent der Befragten Menschen im gleichen Alter oder in der gleichen Lebensphase.

  • Unter den 20- bis 35-Jährigen ist mit 34 Prozent die Vorliebe für gleichaltrige Nachbarn am stärksten ausgeprägt. Unter den 36- bis 49-Jährigen ist es mit ebenfalls 34 Prozent die Vorliebe für Menschen mit gleichen Interessen und Wertvorstellungen.

  • Ältere suchen hingegen Jüngere: 27 Prozent der 50- bis 69-Jährigen geben Nachbarn unterschiedlichen Alters als Präferenz an, während dies nur 13 Prozent der 20- bis 35-Jährigen tun. Nur 7 Prozent der Älteren würden gemeinschaftliches Wohnen mit Gleichaltrigen bevorzugen.

5 % der in der Stadt lebenden Befragten suchen nach Menschen, die ihnen im Alter helfen können. Unter den Landbewohner/-innen sind es doppelt so viele: 10 %.
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Gemeinsame Freizeit, gemeinsames Auto?

  • Mit Abstand am attraktivsten wird mit 87 Prozent von den Befragten die gegenseitige Hilfe im Alltag beschrieben.

  • Je jünger, desto mehr Bereitschaft zu Teilen: 74 Prozent der Jüngeren finden die gemeinsame Nutzung von Gebrauchsgegenständen attraktiv, jedoch nur 66 Prozent der Älteren. Carsharing mögen 46 Prozent der Jüngeren, aber nur 36 Prozent der Älteren.

  • Je älter, desto mehr Interesse am gemeinsamen Tun: Für gemeinsame Freizeitgestaltung können sich mit 71 Prozent bzw. 68 Prozent die älteren Generationen eher erwärmen als Jüngere (60 Prozent). Für Einkaufsgemeinschaften sind das 58 bzw. 59 Prozent der älteren Generationen gegenüber 49 Prozent der Jüngeren.

58 % der in Miete wohnenden Befragten finden es attraktiv, gemeinsam zu kochen und zu essen. Unter den Eigentümer/-innen sind es lediglich 48 %.
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Achtung: Konflikte!

  • Am störendsten werden mit 85 Prozent mögliche Konflikte in der Gemeinschaft sowie die fehlende Möglichkeit, einander aus dem Weg zu gehen, empfunden.

  • Als deutlich weniger störend gelten mit 62 Prozent Diskussionen und die Entscheidungsfindung in der Gruppe.

  • Eine zu große Nähe oder zu viele soziale Kontakte fürchten mit 49 Prozent weniger als die Hälfte der Befragten.

56 % der 50- bis 69-Jährigen würden Diskussionen und Entscheidungsfindung als störend empfinden. Unter den 20- bis 35-Jährigen sind es 70 %.
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Good Practices

Co-Living als lebenswerte Alternative

Gemeinschaftliche Wohnprojekte sind gut darin, Ressourcen miteinander zu teilen. Das verkleinert den ökologischen Fußabdruck und bringt außerdem soziale Inklusion: Bewohner-/innen sind weniger allein und haben nachweislich mehr Lebensqualität.

Das hat sich auch das Co-Living Projekt Vindmøllebakken von Helen & Hard im norwegischen Stavanger zum Ziel gesetzt. In Holzbauweise errichtet fügt sich das Gebäude in die Nachbarschaft an der Küste Norwegens ein. 40 Wohneinheiten sind auf dem Gelände untergebracht und einige Gemeinschaftsflächen. Darunter ein ausgiebiger Essbereich, Gästezimmer, eine Bücherei und ein Gewächshaus auf dem Dach. Zentrum des Gebäudes ist das helle, luftige Wohnzimmer der Hausgemeinschaft. Bei der Gestaltung der Wohn- und Gemeinschaftsflächen hatten alle Bewohner/-innen die Möglichkeit mitzuwirken – das war bereits zu Beginn gemeinschaftsbildend. – helenhard.no/work/vindmollebakken

Gemeinschaft finden

Das gemeinschaftliche Wohnen und vor allem Bauen hält einige Herausforderungen bereit. Interessenskonflikte und Meinungsverschiedenheiten wollen aufgelöst werden – am besten in Harmonie und Einstimmigkeit. Leichter fällt das, wenn man Werte und Interessen teilt.

Bei der Suche nach den passenden Partner/-innen für das Gemeinschaftsprojekt helfen Online-Initiativen wie bring-together. Was ursprünglich als ehrenamtliches Projekt begann, ist heute für viele Anlaufstelle zur Gemeinschaftsbildung. Die Matching-Plattform listet Wohnprojekte und Interessent/-innen, die auf der Suche sind – eine Chance für alle, die nach Leben, Wohnen und Arbeiten in Gemeinschaft suchen. Wer etwas Passendes findet, vernetzt sich. – bring-together.de

Organisationsform: Soziokratie

Gemeinschaftlich zu wohnen, bedeutet nicht, nächtelang diskutieren zu müssen und alles basisdemokratisch zu entscheiden. Die Praxis zeigte, dass es effizientere Methoden braucht. Immer mehr Wohnprojekte greifen dabei auf die Werkzeuge der Soziokratie zurück.

Dieser Ansatz kommt ursprünglich aus der Organisationsentwicklung. Einige wenige Prinzipien sorgen dafür, dass unterschiedliche Interessen gut und schnell vereinbart werden können. Gemeinschaften organisieren sich dazu in kleineren Kreisen, die auf smarte Weise miteinander verbunden sind. Das „Konsent-Prinzip“ sorgt dafür, dass bei einer Entscheidung nicht alle zustimmen müssen. Was zählt, ist, dass es keine schwerwiegenden Einwände gibt. Effiziente und bessere Entscheidungen werden möglich. – soziokratiezentrum.org

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Illustration: Soziokratie Zentrum

Expertentipps

„Wem zugehört wird, der fühlt sich auch zugehörig.“
Markus Spitzer
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Markus Spitzer ist Organisationsentwickler und Soziokratie-Experte. Er begleitet Gemeinschaftswohnprojekte von der Idee bis zum Zusammenleben (Fotocredit: Spitzer)

  • Gemeinschaftsfreundliche Strukturen: Übliche Gemeinschaften von Eigentümer/-innen verfolgen demokratische Prinzipien und rechtliche Absicherung. Bei Beschlüssen gibt es oft eine Seite die „gewinnt“, eine die „verliert“. Vertraglich ist nur geregelt, wie mit äußersten Konflikten umgegangen wird. Soziokratisch organisierte Projekte konzentrieren sich darauf wie das Zusammenleben im positiven Sinn gestaltet wird: Was der Gruppe wichtig ist, wie Entscheidungen getroffen werden, damit alle eingebunden sind und wie auch schon mit kleinen Konflikten umgegangen wird. Das führt dazu, dass gemeinsame Entscheidungen positiv und leicht erfahren werden und zur Gemeinschaftsbildung beitragen.

  • Konflikte effizient lösen: In unserer Gesellschaft lernt man, mit Konflikten umzugehen, in dem man sich abgrenzt. Die Zäune werden höher, das Leben vereinzelter. Aber: Konflikte sind normal, ob in der Arbeit, in der Familie, oder in der Gemeinschaft. Das Ziel als Gesellschaft sollte es sein, dass Konflikte als Ort der Entwicklung gesehen werden. Die Soziokratie hat effiziente Methoden genau das zu erreichen. Und dazu sind keine stundenlangen Diskussionen notwendig. Das richtige Zuhören und Gehört werden spielt dabei eine wichtige Rolle. Wer erfahren hat, dass sich Konflikte gut lösen lassen, baut auch die Angst davor ab.

  • Ein gutes und sicheres Lebensgefühl: Der Zusammenhalt geht in gut organisierten Gemeinschaftswohnprojekten bis hin zur finanziellen und existenziellen Sicherheit. Wir können die Baukosten nicht billiger machen. Aber sehr wohl können wir in der Gemeinschaft Wege finden, wie es für alle finanzierbar wird. Der Einzelne muss auch keine Angst davor haben, das Dach über dem Kopf zu verlieren, wenn er oder sie den Job verliert oder eine Beziehung in Brüche geht. Hier können in Gemeinschaftswohnprojekten sehr einfache, sehr wirksame Lösungen gefunden werden. Das gibt existenzielle Sicherheit, die immer relevanter wird.

Über diese Studie

Über die Trendstudie „Zukunftsfit Bauen und Wohnen“

Die eigene Wohnung, das eigene Haus – das ist immer noch der Lebenstraum für viele. Aber die Umstände ändern sich oft schneller als der erste Grundriss. Lebensplanung braucht heutzutage die Bereitschaft, flexibel zu sein. Jeder, der ein Haus baut oder eine Wohnung kaufen will, kennt das. Corona ist dafür ein Beispiel, das uns alle betrifft. Damit es uns gut geht, sollten wir das neue Zuhause mit Rücksicht auf Umwelt und Gesellschaft bauen. Und schließlich sollen die eigenen vier Wände Freiheit bringen und kein finanzielles Bauchweh. Es gibt also viele Punkte, auf die man achten muss.

Deshalb stellt der unabhängige Immobilienkreditvermittler Baufi24 im Rahmen der Trendstudie „Zukunftsfit Bauen und Wohnen“ in insgesamt sieben Ausgaben Trends, Bedürfnisse und Strategien für die Zukunft vor. Denn vorausschauend zu bauen und zu wohnen bedeutet eine höhere Lebensqualität für sich selbst und mehr Freude an den eigenen Entscheidungen. Zudem ist es nachhaltig für Gesellschaft und Umwelt. Einen Überblick über alle Studien finden Sie hier: Baufi24 Studien.

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